Zur Einstimmung
Die meisten Hilfeleistungen des Sozialstaates für Jugendliche sind methodisch und inhaltlich stark begrenzte partikuläre Pflichtleistungen. Sie können nicht annähernd alle zu einer jeweiligen Zeit auf Jugendliche negativ einwirkenden Umstände erfassen und auffangen. Eine Menge Problemstellungen bleiben bestehen und wichtige Fragen ungelöst. Dieser offene Raum ist, wie es im Namen ja anklingt, eben für die offene Jugendarbeit akut. Darin kann man den Schwarzen Peter der offenen Jugendarbeit sehen, jedoch kann man dies auch als Privileg betrachten; denn gerade hier eröffnet sich die Möglichkeit, Jugendarbeit ganzheitlich auszurichten und dem Ziel, gerechte und selbstbestimmte Entwicklungschancen für Jugendliche zu schaffen oder zu erweitern, mit unterschiedlichsten Methoden experimentell näher zu kommen.
Während der Spruch »den Klienten abholen, wo er steht« traditionell mit dem Motto »weg von der Straße« und »Schaffung von Räumen für sinnvolle Freizeitbeschäftigungen« verbunden war und relativ einfach gelöst werden konnte, sieht sich die offene Jugendarbeit heute umso härter vor die Frage gestellt, wie und wohin Jugendliche »abgeholt« werden sollen. Einerseits üben bekanntlich die Neuen Medien, vor allem Spiele, Profile und Chats im Internet mit der möglichen Bildung virtueller Freundeskreise, aber auch mit der Inszenierung von sozialem Wettbewerb und Mobbing einen enormen Sog auf die Jugendlichen aus. Andererseits geht mit der allgegenwärtigen Favorisierung der Medien unter Jugendlichen zugleich die Abwertung handwerklicher Tätigkeitsformen einher. Physisches Können unter Beweis zu stellen, jene klassische Domäne also, in der unsere Zielgruppe typischerweise ihr Potential hatte und anzulegen vermochte, wird zunehmend unattraktiv. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Technisierung vieler Arbeitsabläufe Langeweile birgt.
Kaum ein ruhiger Moment wird uns jedoch durch unseren gesellschaftlichen Auftraggeber gegönnt, um der Frage der Motivierung und Orientierung Jugendlicher tiefer nachzugehen! Von dieser Seite aus betrachtet man ohnehin die offene Jugendarbeit eher als nette Betätigung, Freizeitspaß, vielleicht noch als Brutkästchen für Subkulturen. Im Grunde aber wird sie als Ablenkung von den für »eigentlich« wichtig befundenen Betätigungen in der schulischen und arbeitsintegrativen Betreuung bewertet. Die offene Jugendarbeit hat einen Status der Randständigkeit erreicht, was sich auch dadurch zeigt, dass sie in der Baumkrone der Sozialgesetzbücher, wie eh und je, nur als leicht abknickbarer Ast zu wachsen vermag. Darüber oft enttäuscht bis verbittert, schaffen wir es in Fachkreisen der offenen Jugendarbeit nur selten, über die Förderanträge mit den immer kürzer werdenden Projektlaufzeiten hinaus, für mehr als nur den allgemeinen Fortbestand der Jugendfreizeitarbeit zu kämpfen. Eigentlich notwendige interne Diskussionen zur Aufgabe und Wirkung der offenen Jugendarbeit kommen dabei offenbar zu kurz. Zudem besteht die Gefahr, mit jeder guten Konzeption zu riskieren, von den rundum rauschenden sanktionsorientierten Sektoren der Bildung und der problemorientierten Jugendhilfe instrumentalisiert zu werden. Dann lieber schweigen, könnte man meinen und bei den altbewährten Klischees über »das Gute« in der offenen Jugendarbeit bleiben - oder auch nicht!
Wir wählen den letzteren Weg und möchten in diesem Artikel mit bestimmten Herangehensweisen zur Diskussion anregen, die man vielleicht als Gegenmodell der offenen Jugendarbeit bezeichnen könnte. Unser Beitrag begründet sich vor allem durch die Erfahrungen mit Blitzjobs – unserem Projekt zur Arbeitweltintegration Jugendlicher – seit 2008 [bis 2012] aus knapp 2.000 Kurzzeitjobs von durchschnittlich drei Stunden Dauer (was der Definition des »Blitzjobs« entspricht) bei zirka hundert Auftraggebern (»BlitzjobStellen« genannt) für über 200 junge Menschen (die mindestens dreizehnjährig sind, was sich aus dem Jugendarbeitsschutzgesetz notwendigerweise ergibt) in mittlerweile fünf Berliner Brennpunktbezirken.
Im Zusammenspiel zwischen Blitzjobs und diesbezüglichen themenorientierten Kreativworkshops, z. B. in Schulen, konnten wir feststellen, dass die Zeit reif ist, um neue Aktionsräume und Interaktionsformen für Jugendliche aufzuschließen, die sozialkulturelles Lernen ermöglichen. Außerdem zeigt sich, dass die in Blitzjobs konsequent erfolgende Förderung von Selbstständigkeit, Vertrauen in selbstbestimmtes Agieren sowie gesellschaftliche Auseinandersetzung, besonders auch bei denjenigen, die nicht als ohnehin motivierte Jugendliche bezeichnet werden können, auf fruchtbaren Boden fallen.
Rollenverständnis und Handlungsformen bei Blitzjobs
Blitzjobs steht beispielhaft für eine Haltung in der Jugendarbeit, infolge deren auf eigene exklusive Räume und auf die »Komm-Struktur« verzichtet wird. Vielmehr geht es bei Blitzjobs darum, eine Vielzahl an bestehenden privaten und öffentlichen Räumen und die Protagonisten dieser Räume als Kooperationspartner untereinander und insbesondere der Jugendlichen in ein umfassendes Beziehungsnetz einzuweben. Während die Ziele im Vergleich zur herkömmlichen Jugendarbeit gleich bleiben, nämlich »gerechte und selbstbestimmte Entwicklungschancen für Jugendliche zu bewirken«, besinnt sich der Jugendarbeiter bei Blitzjobs auf ein fundamental anderes Rollenverständnis. Der Blitzjob-Coach siedelt sich weder arbeitsmäßig in der lokalen Lebenswelt der Zielgruppen an, noch versucht er, Einsichten für ressourcenorientiertes Potential zu gewinnen, indem er einen langwierigen Beziehungs- und Vertrauensaufbau voraussetzt, sondern er versteht sich als ein außerhalb der Lebenswelten positionierter Katalysator.
Blitzjobs hat, wie gesagt, keine eigenen Räume in den Projektgebieten. Vielmehr werden Räume – private oder öffentliche – bezogen, die den Zielgruppen vertraut sind und in denen sie sich wohlfühlen. Das kann z.B. an einer Straßenecke, vor einem bestimmten Laden oder Bushaltestelle sein. Nach dem ersten Kennenlernen geschieht das Coaching – mit zirka 80% – telefonisch, »just in time«.
Primäre Aufgabe des Coaches ist es, in Handlungsfeldern, die für die Einlösung der Ziele entscheidend sind, Inklusivität sicherzustellen. Grundhaltung ist hier, dass die Räume und die Beziehungsarbeit, die ein einzelner Jugendarbeiter selber als Person bieten kann, für unsere Ziele: Partizipation, Motivation und Inklusion nicht die entscheidende Rolle spielen. Es gilt vielmehr die Wirklichkeit der Lebens- und Arbeitswelten, im Hinblick auf eine gesamtgesellschaftliche Dimension, für den Jugendlichen aufzuschließen und nutzbar zu machen.
In dieser Perspektive ist Arbeit, die der Blitzjob-Begriff als zentralem Baustein von Blitzjobs impliziert, bloß ein Mittel zum Zweck. Unter Bezugnahme darauf öffnet der Blitzjob-Coach mit seinem »Eingriff«, d. h. mit seiner hintergründigen Koordination und Begleitung, die Türen für Ressourcen der Selbsthilfe. Infolgedessen bezeichnen wir seine Handlungsform als »akupunkturelle Intervention«. Er greift möglichst nur punktuell ein und will durch ein neues Zusammenspiel bereits bestehender Ressourcen einen jugendgerechten Handlungsrahmen bewirken.
In der Praxis resultieren erfolgreiche Eingriffe auf zwei Ebenen:
Feste Vereinbarungen – alle Beteiligten sind registriert und haben sich mit den Blitzjobs Spielregeln und ihrer Wertegrundlage einverstanden erklärt.
Dialog und Reflexion – Blitzjobber sind per definitionem nicht fachgelernt; die BlitzjobStellen wissen das und sind mit wechselnden Leistungen – »man gibt sein Bestes« – einverstanden. Da zudem der Blitzjobber unter einem (stadtweit einmaligen) selbstgewählten Alias auftritt, ist der Jugendliche im Rahmen von Blitzjobs zwar eindeutig identifizierbar, doch dem BlitzjobStellen bleibt die wahre Identität und Vergangenheit des Jugendlichen unkenntlich. Zudem hat der BlitzjobStelle kein Recht, darüber Auskunft zu bekommen. Folglich – und gerade darin besteht der Grund für diese Spielregeln – müssen für jeden einzelnen Blitzjob die Maßstäbe für die Auswertung gesondert reflektiert werden. Ebenso muss bereits bei der Akquise und später beim Matching der Jugendlichen in der Vor-Sicht auf die Situation der Ausführung und bei der Nachbearbeitung des Blitzjobs gründlich bedacht werden, wie unter Berücksichtigung dieser Faktoren Inklusivität zwischen Blitzjobber und BlitzjobStelle gewährleistet werden kann.
Raum für Vielfalt und Inklusion
Für die Leistung der Jugendlichen bei ihren Einsätzen in den Blitzjobs lassen sich keine globalen Qualitätsstandards angelegen. Vielmehr ist Qualität in diesem Zusammenhang dynamisch zu verstehen. Aus den je speziellen Bedingungen eines Jugendlichen im Verhältnis zum jeweiligen Arbeitsauftrag müssen immer neue Maßstäbe zur Interpretation passgenau erwogen werden. Aus dieser Beweglichkeit heraus entsteht ein Raum für Vielfalt – hinsichtlich verschiedener Tätigkeitsbereiche, heterogenen Matchings von Jugendlichen, Rückkopplung zu den Elternhäusern, zu Schulen, andere Jugendprojekten sowie auch im Hinblick auf die Arbeit mit verschiedenen Altersgruppen und unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten.
Beim Teilnehmervolumen wird bei Blitzjobs gezielt eine Drittelung angestrebt: Zirka ein Drittel der Blitzjobbees ist als gefährdet einzuschätzen, d. h. diese Jugendlichen können keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden bzw. können in der Berufsschule nicht bestehen. Das zweite Drittel ist stark gefährdet und bereits von Suchtproblemen, Kriminalität oder anderen psychosozialen Belastungen betroffen. Darunter finden sich z. T. auch solche jungen Menschen, deren Verbindung zu öffentlichen Hilfeleistungen bereits abgeschnitten worden ist, die sich manchmal auch selber von den Hilfesystemen abgekoppelt haben und jetzt etwa bei Verwandten oder Freunden leben. Das letzte Drittel sind Jugendliche, die das Blitzjob-Verfahren vielleicht nicht bräuchten, die aber gerne die Joberfahrungen und das Taschengeld mitnehmen.
Somit entsteht insgesamt eine bunt gemischte Teilnehmergruppe. Dabei wird der Inklusionsgedanke auch unter den Jugendlichen verbreitet, z.B. durch Blitzjobs, die Teamwork erfordern oder durch gezieltes Peer-Coaching durch sogenannte Team-Leiter:innen oder Junior-Coaches. Innerhalb von Blitzjobbee-Teams sind alle gleichwertig; was hier zählt ist Blitzjob-Erfahrung und Lösungsorientierung bei der Ausführung der Tätigkeiten.
Für den Blitzjob-Coach besteht vor jedem Blitzjob immer wieder eine kleine Herausforderung darin, aus der Gesamtkapazität der Blitzjobbees eine gute Wahl zu treffen und solche Konstellationen zu arrangieren, in welchen auch der BlitzjobStelle zufriedengestellt werden kann, indem dieser seine zur Verfügung gestellten Aufgaben passabel gelöst bekommt.
Infolge der bisherigen Erfahrungen mit dem Blitzjob-Verfahren gibt es eine Reihe von – auch für uns Entwickler:innen – manchmal überraschenden Feststellungen:
Bei Blitzjobs werden Einsätze individuell vertraulich angeboten und nicht öffentlich ausgeschrieben. Somit haben die Coaches optimale Möglichkeiten, taktisch vorzugehen und den einzelnen Blitzjobbee bei seinem Pro und Contra zu einem bestimmten Blitzjob zu unterstützen und herauszufordern. Egal wie asynchron Blitzjobbee-Teams zusammengestellt oder das Verhältnis BlitzjobStelle – Blitzjobbee scheinbar aussieht, fast nie kommt es zu Unstimmigkeiten, Mobbing, Neid oder Manipulationen unter den Jugendlichen und nur selten gibt es nennenswerte Auseinandersetzungen in der Beziehung zum BlitzjobStellen.
Die Wertschätzung der Arbeitserfahrung, die hier vor schulischen Kompetenzen den Vorrang hat, wird von den Jugendlichen voll unterstützt. Nicht selten kommt es vor, dass ein Hauptschüler in der Praxis einen Abiturienten anlernt oder ein jüngerer Blitzjobbee einen älteren.
Die frühzeitige Erfahrung von häufigen vielfältigen und kurzweiligen Tätigkeiten ohne feste Bindung an bestimmte Tätigkeitsfelder oder Auftraggeber bildet in der Summe anscheinend das beste Training, um Durchhaltevermögen zu gewährleisten und in diesem Punkt ausbildungs- bzw. betriebsreif zu werden.
Der bei der Blitzjobvergabe gesetzte Schwerpunkt auf die Handlungsführung (statt auf der Tätigkeit selbst) scheint bei den Jugendlichen gut anzukommen. Bspw. scheuen sich Jungen nicht zu putzen, wenn sie wissen und erfahren, dass die Aufgabe vor allem darin besteht, den BlitzjobStellen menschlich zu verstehen, und wenn sie die Arbeitssituation analysieren können. Wenn zudem ein herzlicher Umgang seitens des Auftraggebers für den Jugendlichen spürbar wird, werden allerlei Hürden der Kontakt- und Arbeitsaufnahme überwindbar.
Die Probleme, die im Arbeitsbereich mit Jugendlichen entstehen, haben erstaunlich wenig mit dem Inhalt der Arbeit bzw. mit Mängeln bei der Ausführung von Tätigkeiten zu tun, sondern beziehen sich zumeist auf Kernkompetenzen, wie die Fähigkeit, Termine oder Absprachen einzuhalten, zu gegebener Zeit erreichbar zu sein, Anfahrtsweg und Fahrzeit entsprechend zu berücksichtigen oder für angemessene Arbeitskleidung, -ernährung und -getränke etc. zu sorgen.
Der Arbeitsbegriff in einer wertebasierten Gesellschaftsvision
Blitzjobs versteht sich als ein soziales mikro-ökonomisches bzw. symbol-ökonomisches Planspiel. Mit der Betonung auf Arbeits»welt« statt Arbeits»markt« schließt sich das Projekt der wachsenden gesellschaftlichen Forderung an, den Arbeitsbegriff aus der monetären und marktsituativen Abhängigkeit zu heben und in einer wertebasierten Gesellschaftsvision zu verankern. Dementsprechend kann Arbeit nicht mehr allein zweckrational verstanden werden. Wichtiger wäre, die Frage zu stellen, wie die Arbeitswelt ökologisiert bzw. kulturisiert werden kann. Wie können gerade Jugendliche einen Wert in Arbeitserfahrungen sehen lernen, der über die bloße Funktionalität eines Tuns und die Auffassung von Arbeit als Maßnahme zur Geldbschaffung im Dienste des Konsums hinausgeht? Unseres Erachtens insbesondere durch die Kultivierung der Nebeneffekte, die in Arbeitsprozessen gerade durch die Auseinandersetzung der beteiligten Menschen untereinander entstehen (können): Lebensentwürfe spiegeln sich, Verständigungen und Missverständnisse vermischen sich, unterschiedlichste Gemütsbewegungen kommen ins Spiel, Differenzen tun sich auf, die es zu balancieren gilt; und im allmählichen Einüben von Verhaltensweisen und der Erfahrung der Reaktionen anderer dar-auf, treten die eigenen Potenziale ans Licht. Man erfährt in diesem vermeintlich beiläufigen Austausch in gewisser Weise, wer man ist, bzw. nicht ist und wer man werden kann und möchte.
Diese etwas schwierig greifbare Qualität des Sozialraums ganz allgemein und der Arbeitswelt im Besonderen, innerhalb deren man Identität und Differenz zu changieren nicht umhin kommt, schafft Sinn-Orientierung und provoziert Reflexion und daraus entstehende Toleranz. Wir bezeichnen dies als »kulturelle Produktion«. Blitzjobs mit seinem Blitzjob-Verfahren begreifen wir daher als Beitrag zur wohltemperierten Sozialraumgestaltung, mithin als kulturelle Technik.
Wird Arbeit hingegen als wenig sinnvoll wahrgenommen, gerät die kulturelle Nebenproduktion unter Druck, bzw. begründet der Mangel dieser Wertestruktur seinerseits die Arbeit als sinnleere Erscheinung. Hieraus entwickeln sich dann für gewöhnlich umso schwach-sinnigere Formen der Freizeitgestaltung, die, mehr oder weniger verständlich, in nichts an die Arbeit erinnern sollen. Stichwort: Spaßgesellschaft. Ein Teufelskreis, in welchem Unmotivation seine Wurzeln hat.
Arbeit ist also nicht nur das, was man tut, sondern für wen, mit wem und warum. Jugendliche, die sich noch nicht durch Arbeit ernähren müssen, haben beste Voraussetzungen, die Verbindung von Arbeit und Sinn ernst nehmen zu wollen. Je mehr Erfahrung sie in dieser Richtung sammeln, bevor sie mit den harten Zwängen einer Lebensfinanzierung konfrontiert werden, desto selbstbewusster und kritischer werden sie der Arbeitswelt begegnen können und ihren Teil beizutragen imstande sein, sie mitmenschlich zu gestalten.
Anlässe für Gedächtnisperlen
Früh erfahren Jugendliche bei Blitzjobs, dass beispielsweise Putzen nicht gleich Putzen ist. Über die bloße Tätigkeit hinaus erfahren die Blitzjobbees etwa bei einem Unternehmen, dass die wichtigste Kompetenz darin liegt, mit dem Team vor Ort klar zu kommen und zu wissen, welche Bestandteile der Arbeit bei einem Unternehmen welche Prioritäten besitzen.
Vor allem bei Privatpersonen können im Rahmen von Blitzjobs wertvolle Momente des Gesprächs entstehen, bei denen Jugendliche plötzlich eine neue Lebensgeschichte, mit den dazugehörigen gesellschaftlichen Wegen und Umwegen in den Blick bekommen. So geraten die eigenen Gedanken eines Jugendlichen über sich und die Zukunft in den Reflexionen des Gegenübers in eine neue Perspektive. Folglich können bisherige Fremdeinschätzungen zu eigenen Möglichkeiten und Chancen erneuert werden.
Diese Momente würden so nicht angenommen werden und sich so nicht entfalten, wären Ablauf und Inhalt vorher genau geplant. Das Ausmaß an Austausch zwischen Jugendlichen und Erwachsenen muss sich selbstverständlich stets in Gegenseitigkeit komplett freiwillig und situationsbedingt einpendeln können. Dennoch bedarf eine solche Flexibilität einer besonderen Struktur mit einem starken Regelwerk, welches beiderseitigen Respekt und wechselseitiges Rollenverständnis sicherstellt. Vereinbarungen müssen im Vorhinein transparent und präzise ohne kulturelle Präferenzen und Sympathien getroffen werden können. Sie müssen außerdem so erfolgen, dass es keiner besonderen Appelle für einen Austausch an die TeilnehmerInnen bedarf.
Die Auswertung, die nach jedem Blitzjob stattfindet, ist ein Instrument zur Förderung der Urteilskraft. Zunächst bewertet die BlitzjobStelle telefonisch gegenüber dem Coach die Leistung des Jugendlichen sowie die Begegnung mit ihm auf einer Notenskala von 1 bis zur Höchstnote 10, einschließlich einer kurzen Begründung. Danach bewertet im gleichen Modus der Jugendliche die Begegnung mit dem BlitzjobStellen im Hinblick auf Anleitung und respektvollen Umgang. Um Unstimmigkeiten aufzufangen und die Verbalisierung an eine angemessene Belastbarkeit der Beteiligten anpassen zu können, wird die Auswertung im Sinne eines Konfliktmanagements dezentral durchgeführt. Damit die Frische der Eindrücke des Auftritts erhalten bleibt, geschieht die Auswertung zeitnah, meist am gleichen Tag und, um alle Themen sofort dialogisch zu behandeln, per Telefon. Zudem werden die Ergebnisse in softwaregestützten Teilnehmer- und Blitzjobprofilen festgehalten und fortlaufend dokumentiert, nicht zuletzt mit Blick auf die Vergabe eines Zeugnisses am Ende der Laufbahn eines Blitzjobbees bei Blitzjobs, in welchem die festgestellten Kompetenzen zur Geltung gelangen.
Die Akribie der Coach-Arbeit, die Prozesse ganzheitlich und »passgenau zur richtigen Zeit« (statt »alles zu seiner Zeit«) aufzunehmen, ist vor allem einer zur herkömmlichen Berufsorientierung entgegengesetzten Einstellung geschuldet: Das Letzte, was ein Blitzjob-Coach den Blitzjobbee nach Hilfsarbeiten, z. B. in einem Garten, fragen würde, wäre: „Na, willst du dir vielleicht im Garten- und Landschaftsbau eine Lehre suchen?“ Bei Fragen dieser Art, mit denen Jugendliche leider andauernd konfrontiert werden, würde man die gesamte Blitzjob-Situation für zukünftige Zweckmäßigkeiten instrumentalisieren, während die Nebenwirkungen der kulturellen Produktion entfielen.
Der Blitzjob soll für den Jugendlichen durch die Auswertung sofort reflektierbar und nutzbar gemacht werden: „Was kann ich beim nächsten Blitzjob besser machen?“, bzw.: „Wurde ich ggf. vom BlitzjobStellen suboptimal angeleitet?“, und: „Wie halte ich bei der Auswertung den Spaßfaktor und die Frage nach respektvoller Behandlung und guter Anleitung seitens des BlitzjobStellen auseinander?“ Die Auswertung rundet den Blitzjob mit Nachvollziehbarkeit ab, gegenüber dem Coach können bei Bedarf eventuelle Besonderheiten zur Sprache kommen und sie gibt dem Blitzjob eine gewisse Bedeutung, indem der Jugendliche durch eine regulative Instanz »gesehen«, aber, da aus dem Unsichtbaren heraus geschehend, nicht invasiv »beurteilt« wird.
Zu Monatsbeginn werden die Blitzjobs des Vormonats (immer über die Blitzjob-Koordinationsstelle) mit dem Zahlungsverkehr abgeschlossen. Die Nützlichkeit, das »Geben und Nehmen« wird hiermit unter Beweis gestellt. Solche kleinen Handlungsabschnitte, die die Erfahrungen des Jugendlichen und auch des Auftraggebers bei den Blitzjobs enthalten, prägen sich im Gedächtnis der Akteure exemplarisch ein. Sie sind bleibend und für das Selbstkonzept des Jugendlichen sehr wertvoll, daher nennen wir sie »Perlen«, genauer: »Gedächtnisperlen«, die in ihrer wiederholten Bildung eine Kette ergeben, entlang deren sich das Selbstverständnis des Jugendlichen verändert, indem sukzessiv Durchhaltevermögen und neue innere Kraft entsteht.
Ausklang – das Grundbedürfnis der Jugendlichen nach Einsamsein
Neben der Tatsache, dass Blitzjobs unter Jugendlichen als »cool« gelten, weil sie einige Euros einbringen sowie aufgrund der Anerkennung, dem Praxiserwerb, dem Lerneffekt, dem Mobilitätstraining und dem kulturellen Mehrwert, scheint ein weiterer Faktor für die Teilnahme einer Vielzahl von Jugendlichen zentral zu sein: Der Aspekt des Allein- bzw. Einsamseins. Bei Blitzjobs arbeiten Jugendliche zumeist alleine. Selbst wenn sie mit anderen Jugendlichen zusammen arbeiten, haben sie infolge der Blitzjobs-Spielregeln kein Anrecht, ihre Arbeitskollegen, etwa aus dem Bekanntenkreis, auszuwählen und bleiben durch ihren Alias auf positive Weise »für sich«. Sie tragen daher sozusagen die Verantwortung einer »privaten Mission« und genau danach stellen wir ein deutliches Bedürfnis bei Jugendlichen fest.
Man kann sich ja berechtigterweise fragen, wann Jugendliche heutzutage überhaupt die Erfahrung machen, alleine zu sein. Schon wegen der ständigen leichten Verfügbarkeit von technischen Kommunikationsmitteln, wird der Zustand des Alleinseins quasi zum Verschwinden gebracht. Gerade durch die virtuellen Räume elektronischer Systeme wird die öffentliche Transparenz unseres Lebens verstärkt und desto geringer wird folglich der subjektive Raum. Wir kommen zu dem Schluss, dass Einsamsein ein aussterbender und inzwischen sogar gesellschaftlich tabuisierter Zustand geworden ist. In den Institutionen der Schule und Sport, im Jugendclub, in der Familie und im Rahmen der Clique ist Einsamsein nicht vorgesehen und wenn es eintrifft, dann meist als Problem oder angstvoll abzuwehrendes Phänomen.
Dagegen bietet ein Projekt wie Blitzjobs Jugendlichen überschaubare Zeiträume, in denen sie auf sich gestellt sind. Die Spielregeln von Blitzjobs, die anonyme Alias-Identität, das telefonische Coaching, der zwischen BlitzjobStelle und Blitzjobbee indirekt abgewickelte Zahlungsverkehr, ermöglichen die Erfahrung zeitweiligen Getrenntseins. Dieser Aspekt von Blitzjobs darf als außergewöhnliches Bildungsmoment für die Jugendlichen angesehen werden. Kann doch gerade die heute kaum noch einzuübende „Fähigkeit zum Alleinsein“ (Winnicott, D. W.) als eines der wichtigsten Zeichen psychischer Reife gelten.
Mit diesen vielleicht etwas unzeitgemäßen Betrachtungen sei ein kleiner Einblick in unsere Auffassung einer zeitgemäßen Jugendarbeit gegeben. Vieles müsste neu verhandelt werden und dies ist wohl erst ein Anfang. Und mit diesem Stichwort kommen wir nun zum vorläufigen Schluss.
Publiziert 2012 im Themenheft Teenies oder Jugendliche - Wer braucht die Offene Jugendarbeit?, 02/2012 BAG AKJE, Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e.V., www.offene-jugendarbeit.net sowie 2015 unter jugendhilfe-bewegt-berlin - dem Onlineblog vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin e.V.
Anlässlich der Publikation auf Caijus neu gestalteter Webseite 2021 wurde die Sprache an Caijus aktuelle Standards für Gleichbehandlung sowie einige Neuerungen bei Begriffsbezeichnungen angepasst. Statt "TeenKom" als Name für das Projekt wird nur noch "Blitzjobs" genutzt, um somit direkter zu kommunizieren, um was es geht. Weiter wurden einige Bezeichnungen erneuert, um die in deutscher Sprache gebundene Verlagerung als männliche Form aufzulösen: Statt "Kunde" jetzt "BlitzjobsStelle", statt "Blitzjobber"/ "Blitzjobberin" jetzt "Blitzjobbee".
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